Cala Figuera und der Mann der ersten Stunde

Salvador Escalas hat auf Mallorca und besonders in Cala Figuera Tourismusgeschichte geschrieben. Der 78-Jährige lebt bis heute in dem Küstenort, den er jahrzehntelang als Hoteldirektor, Unternehmer und Politiker geprägt hat.

Es macht Spaß, mit Salvador Escalas in der Fotokiste zu kramen. Wie viel Geschichte in einen Schuhkarton passt! Persönliche Erinnerungen tauchen auf, mit jedem Foto, das der 78-Jährige aus der Kiste holt. „Ach, da war ich noch hübsch!“, sagt er in perfektem Deutsch, oder „diese alte Klapperkiste! Damit haben wir die Touristen über die Insel gefahren.“ Er schmunzelt, denkt nach, freut sich.
Auch viele junge Frauen sind zu sehen, mit Hochsteckfrisuren und in ausgestellten Röcken. „Das waren alles meine Freundinnen, ich war der Hahn im Korb.“ Es sind nicht nur 60 Jahre seines Lebens, die auf den kleinen Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen sind. Es sind 60 Jahre Tourismusgeschichte auf Mallorca. Escalas hat sie mitgestaltet, hier in Cala Figuera, wo er mit seiner deutschen Frau Ulla Escalas, geborene Potthast, lebt. 
Escalas wuchs in Santanyí auf. „Zum Glück hatte ich arme Eltern“, sagt er heute, „so konnte ich schätzen, was ich später hatte.“ Als einer der wenigen seiner Generation machte er Abitur, lernte zu Hause, der Apotheker gab ihm Unterricht und kaufte ihm die Bücher,

zur Prüfung fuhr er mit seiner Mutter nach Palma. Am Tag nach der Prüfung arbeitete er schon als Kellner in der Pension seines Schwagers, der auch ein inselweit bekannter Zigarettenschmuggler war. Geld verdienen war das, was er wollte und was die Zeit ihm bot – es waren die 1950er-Jahre. Ein Studium außerhalb der Insel kam ihm gar nicht in den Sinn. Seine Intelligenz und Wissbegierde setzte er anders ein: Er brachte sich selbst Deutsch bei, fragte die ersten Gäste aus, die damals in dem Hafenörtchen Urlaub machten, abonnierte dann bald die Zeitschrift Der Spiegel, die jede Woche per Post aus Deutschland kam, zuvor aber noch von Francos Zensurbehörde kontrolliert worden war. „Nackte Brüste waren mit schwarzen Balken verdeckt“, erinnert er sich. Cala Figuera war in den 1950ern ein Ort, wo außer ein paar Fischern kaum jemand lebte. Die Bonner Uni brachte im Juni 1955 die ersten Urlauber, Studentengruppen, die fortan in 14-tägigem Wechsel dort ihre Ferien verbrachten. Die ersten von ihnen wohnten in einer zum Hotel umgebauten Kaserne, genossen Vollpension, feierten Partys, ließen sich von Salvador und anderen die Insel und das Meer zeigen.
„Hier gab es nichts“, erzählt er im Arbeitszimmer seines geräumigen Hauses,

„kein fließendes Wasser, keinen Strom, keine asphaltierten Straßen. Die Toilette war im Hof.“ Die spätere Entwicklung verlief in Cala Figuera etwas anders als an den meisten Küstenorten der Insel. Die 1960er- bis 80er-Jahre, das waren die Jahrzehnte der Bettenburgen und des Massentourismus. In der Bucht von Cala Figuera entstanden aber vor allem Gästehäuser und Apartmentanlagen, bis heute gibt es nur zwei Hotels. Das Publikum blieb studentisch, generell liebten vor allem junge Leute die Ecke im Südosten Mallorcas. Cala Figuera boomte bis in die 1980er-Jahre. Damals gab es hier 900 Gästebetten und 15 Souvenirläden, wie Salvador Escalas notiert hat. Heute sind es nur noch 350 Betten und 3 Shops. Dieser Trend habe mit der veränderten Nachfrage und den natürlichen Gegebenheiten der engen Bucht zu tun, erklärt Salvadors Frau Ulla: „Cala Figuera hat keinen Strand, deswegen interessiert der Ort konventionelle Touristen nicht, die vom Bett auf den Strand fallen wollen.“ Andere lieben den Ort genau deswegen, wegen seiner Fischerboot-Unterstände und der kleinen dazugehörenden Häuser am Wasser.

Wie viel Geschichte in einen Schuhkarton passt!

Cala Figuera ist einer der wenigen Küstenorte auf Mallorca, der sich etwas von seinem ursprünglichen Charme bewahrt hat.
Dem war 1972 auch Ulla Potthast verfallen. Und auch Salvador Escalas hatte es ihr angetan. Sie wollte eigentlich für das zweite Staatsexamen lernen, war schon ein paar Jahre Lehrerin für Mathe, Physik und Chemie, als sie Ostern „mit einem Koffer voller Bücher“ nach Mallorca kam. Das Staatsexamen legte sie dann noch ab, aber ihr Lebensweg machte eine Kurve.

Ein Jahr, nachdem sich die beiden kennengelernt hatten, zog Ulla vom Ruhrgebiet nach Mallorca, in einem R 4 „bis oben voll mit meinem beweglichen Hausstand“, erinnert sie sich.
Salvador war Witwer mit zwei kleinen Kindern, Ulla wurde ihre neue Mutter. Das Paar wirkt bis heute dynamisch und eingespielt, die Partner ergänzen sich, das ist sofort zu spüren. „Deutsche Gründlichkeit gegen mallorquinische Ungründlichkeit“, sagt Salvador Escalas lachend und fügt an: „Ich fühle mich mittlerweile halb als Deutscher, halb als Spanier.“ Ulla hat mit ihrem Mann dann jahrzehntelang den Betrieb geschmissen, als „Mädchen für alles“, wie sie erzählt, „um die Gäste kümmerte sich Salvador, ich war für den Ablauf zuständig.“

Von April bis November hieß das, jede Nacht sechs Stunden Schlaf und das Geld für das ganze Jahr verdienen. In den 1970er-Jahren war Salvador zum Hoteldirektor aufgestiegen und machte sich gerade als Vermieter von Ferienwohnungen selbstständig. Lange vorbei waren die Zeiten als Kellner. Schon Ende der 1950er-Jahre hatte er als Reiseleiter gearbeitet und dabei fünfmal mehr verdient als zuvor. In den 1980er-Jahren, auf dem wirtschaftlichen Höhepunkt, betrieb das Paar fünf Apartmenthäuser und Pensionen und eine Disco im Ort. Heute ist alles verkauft.
Escalas war viele Jahre Vorsitzender des Hotelierverbandes in Cala Figuera und wirkte nach Francos Tod 1975 entscheidend am Aufbau der Demokratie mit. Das Programm der neuen Mitte-Partei UCD entwickelte Escalas nach deutschem Vorbild.

„Ich kannte die großen Volksparteien und wollte eine Mischung daraus“, sagt er, „die habe ich dann 17 Jahre lang mit Realpolitik und Pragmatismus umgesetzt.“ So lange war Escalas Bürgermeister des Ortsteils Cala Figuera, darüber hinaus war er mehr als ein Jahrzehnt lang im Rathaus von Santanyí für Tourismuspolitik zuständig. Da gehörte er schon der Partido Popular (PP) an, die nach der Auflösung der UCD 1982 die Gemeindewahlen gewann. Seitdem regieren in Santanyí ununterbrochen Politiker der konservativen Volkspartei. Seit einigen Jahren genießen Salvador und Ulla das Leben intensiver. Jeden Nachmittag gibt es auf der Terrasse Tee und Kekse, auch Kater Max bekommt sein Häppchen, und so oft es geht, frönen die beiden der mallorquinischen Küche. 135 Kochbücher stehen im Regal.
17 Jahre Bürgermeister

Per llepar´se els dits

2004 taten sich die Escalas‘ mit 200 deutschen und mallorquinischen Familien zu einem Gourmetclub zusammen. Seitdem besuchen sie regelmäßig Restaurants mit heimischer Kost, lassen sich verwöhnen mit dem, was auf Mallorca wächst und gedeiht. Dabei zeigt sich, wie tief Salvador Escalas mit seiner Insel verwurzelt ist, trotz seiner Neugierde, seines Fortschrittsdenkens und der engen Verbindung zu Deutschland.
Auf die Frage nach seinem Lieblingsessen antwortet er ohne nachzudenken und in tiefstem Mallorquinisch: Escaldums de matances und Arros brut.
Wer diese Gerichte nicht kennt, sollte sich auf die Suche machen, zum Beispiel bei C‘an March in Manacor (siehe ISLA 01, www.canmarch.com) oder bei Can Tronca in Sant Joan (nur mit Reservierung, www.restaurantecantronca.com).
„Die kochen die besten Reisgerichte der Insel“, sagt Escalas, „da schleckt man sich danach die Finger ab“ – per llepar´se els dits.

• Text: Brigitte Kramer

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