Emsig Pollen, Honig und Daten sammeln
Eine Aktion deutscher Supermärkte machte deutlich, wie wichtig Bienen für die Welt sind. Wenige Tage vor dem Weltbienentag am 20. Mai 2018 räumten sie alle jene Produkte aus den Regalen, die von den Bestäuberinsekten abhängig sind: Es fehlte nicht nur Honig, sondern auch die meisten Obst- und Gemüsesorten, Kaffee, Kakao, Schokolade und Säfte. Sogar die Tiefkühlpizza war weg: In ihrem Teig steckt Sonnenblumenöl. Insgesamt fehlten 60 Prozent aller Produkte.
Jürgen Tautz weiß schon lange, wie wichtig Bienen sind. „Das, was den Bienen hilft, hilft allen Lebewesen, auch wir hängen da mit drin“, sagt er. Der 69-jährige Biologe und Verhaltensforscher setzt sich seit Jahren für den Bienenschutz ein. Nun ist er auch auf Mallorca aktiv.
Die Öko-Finca Es Fangar bei Felanitx soll eine von rund hundert internationalen Forschungsstationen seines neuen Projekts beherbergen. Er will erkennen, was den Superorganismus Bienenstock im Innersten zusammenhält.
„Was da an sekündlichen Interaktionen zwischen, sagen wir, 50.000 Bienen passiert, darüber wissen wir sehr wenig und das übertrifft unser Auffassungsvermögen.“
Die Technik soll helfen. Seit über zwei Jahren ist er mit seinem Team von IT-Spezialisten damit beschäftigt, Bienenstationen mit denselben technischen Standards auszustatten. Sonden und Infrarotkameras sollen im Stock erfassen was passiert, aber auch Mikrochips am Bienenkörper sollen Aufschluss geben. Die Chips identifizieren einzelne Tiere mit Personalnummer und Geburtsdatum und ermöglichen so Rückschlüsse auf deren Alltag und lebenslange Entwicklung. Ausgewertet werden die Big Data an der Universität Würzburg, wo sie in Echtzeit zusammenlaufen. Schließlich sollen sie anschaulich aufbereitet den Schulen, Museen, Vereinen oder auch anderen Interessengruppen zur Wissensverbreitung bereitgestellt werden. Finanziert wird das Langzeitprojekt von der Audi Umweltstiftung und der Marmeladenfabrik Schwartau Werke.
Die Öko-Finca Es Fangar auf Mallorca soll als positive Referenz dienen, im Vergleich zu anderen Standorten mit stressigeren Lebensbedingungen, wie in der Nähe von Steinbrüchen oder Transportunternehmen, wo die Erde vibriert. Auch der Vergleich zu Monokulturflächen, wo die Blütezeit sehr kurz und die Auswahl an Blüten stark begrenzt ist, interessiert Jürgen Tautz. Letztlich will er erkennen, wo die Belastungsgrenzen liegen. „Bienen halten unheimlich viel aus“, sagt er, „und das ist auch ihr Problem. Wir wollen sehen, wie weit sie sich vom Natursystem entfernen können.“
Der emeritierte Professor spaziert zwischen bunten Wiesen, Obstplantagen und ausgedehnten Wäldern, betrachtet die Vielfalt der Landschaft. „Hier werden alle Wünsche der Bienen erfüllt“, sagt er.
Wildbienenart: Apis mellifera iberica
In Europa lebt neben etlichen Wildbienenarten die Westliche Honigbiene Apis mellifera, die sich in zwei Unterarten teilt: die Dunkle Biene aus Nord- und Westeuropa mit wiederum fünf Unterarten oder Rassen und die Gruppe der Kärntner Biene, auch Carnica-Gruppe genannt. Sie stammt aus Südosteuropa und hat wiederum sechs Unterarten. Insgesamt gibt es auf unserem Kontinent also elf Bienenrassen. Auf Es Fangar wird mit zwei Rassen geimkert, der Iberischen Honigbiene (Apis mellifera iberica), die zur Gruppe der Dunklen Bienen zählt, und der Italienischen Biene (Apis mellifera ligustica), die zur Carnica-Gruppe gehört. Tautz wird diese beiden Honigbienen erforschen, auch im Wald frei lebende Kolonien. Er erwartet zudem, regional angepasste Öko-Typen mit Farbvarianten vorzufinden.
Tautz will die Schwärme verstärkt in den Wald locken, ihr eigentliches Zuhause. Denn das Leben in hohlen Bäumen ist für Bienen sehr gesund. Dort gibt es Organismen, die von ihnen unbeabsichtigt in die Stöcke transportiert werden und eine wichtige Rolle für die Gesundheit der Völker spielen. 40 Bienenvölker leben auf dem Anwesen. Sie werden nicht beimkert. „Wir brauchen den Honig nicht, wir haben tolle süße Früchte“, sagt Gabriele Kofler, Mitarbeiterin der Finca. Den Bienen bleibt ihr Honig zum Eigenverbrauch. So haben sie genügend Immunstoffe und Energie für die Arbeit, wie zum Beispiel zur Kühlung der Waben im Sommer mittels Flügelschlag.
Professor Tautz erwartet sich von dem Projekt eine bessere weltweite Vernetzung und Zugriff auf Daten anderer Bienenhalter. „So können wir auch helfen, das Bienensterben zu verstehen und die Situation zu verbessern“, sagt er, „Es Fangar soll als zentrale Stelle im Mittelmeerraum Teil dieser Projekte sein.“ Die Finca ist auch wegen ihres Standortes interessant. Das Mittelmeer bietet den Bienen andere Lebensumstände als der mittel- und nordeuropäische Raum.
Dort sterben die meisten Völker im Winter wegen der Kälte, in Südeuropa ist dagegen der Sommer die kritische Phase. „Da können wir viel lernen, denn es sind ja die gleichen Bienen“, sagt Tautz. Und die Bienen kommen hier nicht mit Pestiziden in Berührung, denn ihr Flugradius ist kleiner als die Ausdehnung des Anwesens. Darauf legt Gabriele Kofler besonderen Wert. 400 Hektar stehen unter Naturschutz, der Rest wird nach den Regeln des Ökolandbaus bewirtschaftet, zum Beispiel mit Obstplantagen und Weinbergen. Der Eingriff in den natürlichen Rhythmus wird so klein wie möglich gehalten, gemäht wird erst nach Ende der Brutzeit der Vögel, und wenn die Pflanzen ihre Samen abgeworfen haben wird gemulcht. Als die schweizer Unternehmerfamilie Eisenmann die Finca vor 15 Jahren erwarb, sei sie total verkarstet gewesen, erzählt Kofler, Schafe hatten alles kahl gefressen. Jetzt ist sie voller Leben: Überall summt und brummt es, Wiedehopfe und Rebhühner laufen über die Wege, Rotmilane und Zwergadler ziehen ihre Kreise, Schildkröten, Fasane und eine Menge Falter leben auf dem Anwesen.
Die Besitzer des Anwesens sind Freiwillige, ebenso wie die Imker des Hauptpräsidiums der Münchner Polizei, mehrere Schulen in Baden-Württemberg und im Vorarlberg oder Museen in Frankfurt und Cuxhaven. Auch mit Interessenten in Ägypten und Italien ist Tautz im Gespräch. Viele Imker wollen sein Projekt unterstützen und Daten sammeln, denn Bienen sind Sympathieträger. „Es gibt viele schützenswerte, interessante Organismen, Regenwürmer oder Libellen zum Beispiel“, sagt Tautz, „aber die Biene bringt die Menschen einfach zusammen.“ (bk)
Führungen mit Besuch der
Bienenstöcke in Es Fangar:
siehe unten
Den Bienen bleibt ihr Honig zum Eigenverbrauch
Prof. Dr. Jürgen Tautz hat Biologie, Physik und Geographie studiert
Infos
Website Prof. Dr. Tautz:
web Projekt hobos
web Es Fangar
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