Tempel der Sehnsucht
Eine schmale, asphaltierte Straße führt zwischen wilden Sträuchern und ambitionslosen Ferienhäusern zu einem Haus, das schlichter nicht sein könnte: Grob behauene Steinquader, weite Öffnungen, viele Leer-Räume. Irgendwie unfertig wirkt es, und gilt doch als das Beste, was Mallorca architektonisch zu bieten hat. Wäre das Haus auf den Felsen nicht aus einheimischem Marés, sondern aus Beton gebaut, würde es an eine Rohbau-Ruine erinnern, wie man sie auf der Insel oft findet, besonders am Meer, wo das Bauen mittlerweile verboten ist.
Der dänische Architekt Jørn Utzon hat es vor mehr als 40 Jahren entworfen, als Ort seines Rückzugs. Bis in die 90er Jahre wurde „Can Lis“ bewohnt: Benannt ist es nach Lis Fänger, die 66 Jahre lang Utzons Ehefrau war und mit ihm drei Kinder hatte. 2010 starb sie mit 91 Jahren in Dänemark, zwei Jahre nach ihrem Mann. Vor ein paar Jahren wurde das berühmte Haus renoviert, nun kann man es nach Voranmeldung besuchen. Die Utzon-Stiftung organisiert geführte Besichtigungen.
Somit bleibt Utzons Haus Besuchern und Insulanern erhalten. Viele befürchteten einen weiteren Ausverkauf mallorquinischer Baudenkmäler an Privatpersonen, die diese sofort einzäunen. Als das Haus 1972 fertig war, wusste niemand, wer Utzon war, er durfte als Ausländer bei seinem eigenen Haus nicht als Architekt unterzeichnen und musste Baumeister Josep Montserrat um diesen Gefallen bitten. Heute, wo der Däne in einem Atemzug mit Alvar Aalto oder Frank Lloyd Wright genannt wird, ist Mallorca stolz auf das berühmte, ärmliche Haus an der Küste. Es soll demnächst unter Denkmalschutz gestellt werden.
Die Lage ist recht abenteuerlich für den Ruhesitz eines Stararchitekten, der mit seinem berühmtesten Bauwerk, der Oper von Sydney, zu Geld und Ehren kam, darüber aber auch verzweifelte. Sieben Jahre vor Fertigstellung des weltberühmten Gebäudes mit dem aufgefächerten Dach gab Utzon 1966 auf, wegen Streit mit den Behörden über die explodierenden Kosten und wegen künstlerischer Unstimmigkeiten. Mit falschem Namen und Kind und Kegel verließ er den Fünften Kontinent und betrat ihn nie wieder, obwohl er und seine Familie sich in Australien verliebt hatten.
Deshalb suchten sie in Europa ein ähnlich wildes Küstenland mit heißem Klima, und fanden es auf Mallorca: Ein „Australien ohne Druck und Erwartungen“, ein „Australien, in dem sie nicht von Fans verfolgt, von Journalisten belästigt und von den Einheimischen erkannt wurden“. Hier wähnten sich die Utzons im Paradies.
Den hellen Klötzen sieht man ihr Alter an: Sie sind rau und fleckig, mit stellenweise abgerundeten Kanten. Kein Wunder, denn sie sind Wind und Wetter ausgesetzt. Das Haus steht ein paar Schritte vom Abgrund entfernt. Bei Wind spritzt dort die Gischt an die Scheiben, an heißen Sommertagen blendet die Sonne so stark, dass der Anblick des Meeres in den Augen schmerzt. Can Lis ist nach Süden gewandt, mit rund einem Dutzend riesiger Fenster.
Wer zwischen Patios und Säulen umher wandert, wer sich auf das gemauerte, mit dicken Kissen bedeckte, halbrunde Sofa im Salon setzt, der empfindet ein Gefühl der Nacktheit. Wäre Can Lis der Entwurf eines Modeschöpfers, würde man den Stil wohl nude nennen: poröse, hautfarbene Steine überall, an den Wänden, auf dem Boden, innen wie außen. Nur die Decken sind weiß, aber so hoch, dass man sie nicht wahrnimmt.
Haus mit spektakulären Meerblick
Utzon hat das Haus von innen nach außen konzipiert, es gibt kaum Pläne, der Architekt hat jeweils spontan entschieden. Fensterrahmen aus Kiefernholz ließ er von außen an die Wand schrauben, so dass man sie von innen nicht sah.
Alles spielt sich auf ebener Erde ab. Regale, Tische, Bänke sind gemauert, auch die Betten. Das Gestell mit Matratze steht in einer kajütenartigen Steinnische, die Schlafräume sind wie alles in dem Haus karg, erinnern an Mönchszellen. Insgesamt fünf Hausblöcke stehen parallel zur Küste, sie sind durch Höfe und typisch mallorquinische Lamellentüren aus Holz verbunden.
Die Gebäudeteile richten sich nach dem Sonnenstand und dem Bedürfnis der Bewohner: im Osten die Schlafräume, im Westen ein Open-Air-Büro. Der Tagesablauf des Paares soll stark ritualisiert gewesen sein, es gibt sogar einen Hof für den Nachmittagstee, mit zwei gefliesten Bänkchen und einer schattenspendenden Tamariske, einem der wenigen Bäume, die in stark salzhaltiger Luft gedeihen.
Beim Rundgang weiß man bald nicht mehr, ob man sich im oder außerhalb des Hauses befindet. Das war wohl Utzons Traum: leben im Freien mit einem Dach über dem Kopf.
Utzon hat das Haus von innen nach außen konzipiert, es gibt kaum Pläne, der Architekt hat jeweils spontan entschieden, welche Wand in welchem Winkel zur Küste hochgezogen und welches Fenster welchen Ausschnitt des Meeres einrahmen sollte. Fensterrahmen aus Kiefernholz ließ er von außen an die Wand schrauben, so dass man sie von innen nicht sah. Nur die Küche und das Bad sind gefliest, vermutlich aus praktischen Gründen: Grober Sandstein lässt sich schlecht putzen.
Can Lis
Die Utzon-Stiftung organisiert geführte Besichtigungen
web www.canlis.dk
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