RESSORT   „Reportagen • Mallorca geniessen”

Wermut ist Müßiggang!

Mallorca, den 20. August 2019
Wer sich nicht viel für den Sonntag vorgenommen hat, der sollte ihn mit einem Wermutwein beginnen, so um die deutsche Mittagszeit herum.
TEXT   isla Redaktion (bk)
FOTO   Gunnar Knechtel

TAGS   Ausflugstipps für Mallorca Essen & Trinken Gastronomie Palma de Mallorca Vermuterías auf Mallorca

Das Ritual ist vor ein paar Jahren von Madrid und Barcelona auf die Insel übergeschwappt, und seitdem gibt es immer mehr Bars, die sich direkt „Vermutería“ nennen oder zumindest eine Auswahl der aromatisierten und hochprozentigen Kräuterweine auf der Karte haben, oft auch vom Zapfhahn. Am besten kann man das herb-süße Getränk in Palma probieren. Die Auswahl ist groß, vor allem in der Altstadt, aber auch in den ehemaligen Fischervierteln Santa Catalina und Es Molinar laden Bars dazu ein, den Sonntag zu vertrödeln. Denn Wermut ist süffig, er entspannt und steigt schnell zu Kopf. Vielleicht liegt es an den bis zu 22 Volumenprozent Alkohol, vielleicht am karamellisierten Zucker oder an der krampflösenden, verdauungsfördernden Wirkung des Wermutkrautes.

Mit einem Wermut in der Hand plaudert, nippt und schnabuliert es sich jedenfalls gut. Aber Vorsicht! Idealerweise trinkt man einen oder zwei, mit einem sauren oder salzigen Häppchen oder einem Snack dazu. Danach sollte man zu Mittag essen, gerne auch bis in den Nachmittag ausgiebig tafeln und schnacken. Die „Sobremesa“, das Gespräch nach dem Essen, wird in Spanien mit Hingabe gepflegt. Und schwups ist er auch schon um, der Sonntag.
„Vermutería La Gloria“ in Es Molinar eröffnet, weil das Geschäft mit der Gesundheit während der Wirtschaftskrise nicht mehr funktionierte, wie er erzählt. Sein Studium hat sich der Mailänder als Barmann verdient, und das sieht man: Hier ist ein Profi am Werk.

Davide Furrer, italienischer Orthopädietechniker mit Faible für Gastronomie, hat vor zwei Jahren die 46 Wermut-marken aus Frankreich, Spanien und Italien hat er auf der Karte, dazu Häppchen und Snacks wie Oliven-Sardellen-Spießchen, Muscheln aus der Konserve oder Chips mit pikanter Soße. Wer bei ihm bestellt, wird erst einmal ausgiebig interviewt. Süß, ausgeglichen oder trocken? Rot, rosé oder weiß? Fruchtig oder würzig? Auf Eis, mit Soda aus der Siphon-Flasche oder ganz ohne alles? Je nach Antwort des Gastes serviert Furrer dann den ein oder anderen Wermut im klassischen 125 Milliliter-Glas. Die Franzosen stellen zum Beispiel einen eher bitteren Wermut her, mit viel Chinarinde und weniger Kräutern.

Die Katalanen machen einen würzigeren Wermut

Der weiße „Noilly Prat Dry“ zum Beispiel: Die Bodega ist in Südfrankreich, die Holzfässer, in denen der Wermutwein mazeriert, stehen in Meeresnähe im Freien und werden jeden Tag nassgespritzt. Das Holz saugt dabei auch die salzhaltige Luft auf und gibt dem Wein einen leichten Salzgeschmack. Die Katalanen machen einen würzigeren Wermut. Reus bei Tarragona ist die bekannteste Stadt. Dort gibt es ein privates Museum mit Bar, 1.300 Flaschen sind ausgestellt, und verkosten kann man 118 Marken.

Und in Reus findet man bekannte Bodegas wie Yzaguirre oder Miró. Aber auch andere Regionen ziehen mittlerweile nach. Madrid produziert gute Wermutweine her, auch Andalusien und Murcia. Auf der Insel stellt nur die Schnapsbrennerei Túnel in Marratxí Mallorca-Wermut her. „Vermut Muntaner“ ist fruchtig und wird mit Wacholder, Anis, Holunder und Kardamom mazeriert. Für Liebhaber des richtig bitteren Getränks ist eine Mischung aus Wermut und dem Magenbitter Amaro das Richtige. Die Kreation heißt „Punt E Mes“ (ein Punkt und ein halber auf Piemontesisch) und stammt aus Turin. Im Jahr 1870 wollte ein Börsenmakler in seiner Stammkneipe den Anstieg seiner Aktien um eineinhalb Punkte feiern. Eine Bodega erfüllte ihm den Wunsch mit einem eigenen Wermut, der sich seither auf dem Markt hält. Die Italiener haben den Würzwein auch in Mode gebracht. Schon im 16. Jahrhundert war er ein beliebtes und billiges Getränk, in Arbeitervierteln von Turin zum Beispiel und generell bei einfachen oder armen Leuten, der Begriff Wermutbruder kommt nicht von ungefähr. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Wermut nach Spanien exportiert. Ein gewisser Flaminio Mezzalama soll damals in Barcelona von Bord eines italienischen Schiffes gegangen sein.

Er war Vertreter der Getränkemarke „Martini & Rossi“. Bald schon tranken auch Barcelonas Arbeiter nach Feierabend einen Wermut, später auch die Bourgeoisie, die den karamellisierten, würzigen Wein bald auch in Cocktails schätzte. 1892, wenige Jahre nach seiner Ankunft, musste Mezzalama laut historischen Zeitungsberichten die ersten spanischen Nachahmer vor Gericht verklagen.Vergeblich: Heute gibt es allein in Spanien mehr als 150 Wermut-Marken. Martini ist trotz dieses Booms aber weltweit Marktführer. Erfunden haben den Wein die Deutschen. Der Wermut trägt einen germanischen Namen, der das Kraut Artemisia absinthium benennt, das am besten in gemäßigten Klimazonen gedeiht.
Hildegard von Bingen, Pfarrer Kneipp und andere Kräuterkundler mischten ihn in Tinkturen und Tees, die mal gegen Menstruationsbeschwerden, mal bei der Leberreinigung und mal bei Schwermut helfen sollten. Im Wermutwein stecken neben dem namengebenden Kraut auch Enzian, Zimt, Pomeranzen oder Nelken. Die genaue Mischung halten die Bodegas geheim. Die geschmack-lichen Unterschiede sind tatsächlich groß.

Das weiß auch Uta Gritschke. Die Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin aus Münster lebt seit elf Jahren in Palma und betreibt in Palmas Calatrava-Viertel die „Bodega Santa Clara“, die sie nur in den Abendstunden öffnet. Der Weinhandel ist ein schmaler, tiefgelegener Raum, früher war hier eine Tischlerwerkstatt. Hier gibt es ausgesuchte Weine, offen und in der Flasche, von der Insel und aus ganz Spanien. Ihre Wermutmarken kommen aus Katalonien, Murcia und Nordspanien. Auch „Can Novell“ und „Dimoni“ bietet sie an, die als Mallorca-Wermuts auf dem Markt sind. „Ganz tolles Marketing“, sagt sie lachend, „leider sind es keine Inselweine, sie werden nur hier abgefüllt. Schmecken aber trotzdem lecker.“ Im Glas kosten bei Gritschke alle Wermuts 2,20 Euro, literweise kosten sie zwischen 3,90 und 6,80 Euro. Sie empfiehlt, Wermut zuhause im Kühlschrank zu lagern und nicht zu kalt zu trinken, weil dann Geschmacksnuancen verloren gehen. Gemischt schmeckt er auch gut mit Zitronensaft, Sekt oder Gin. Wer die Welt des Wermuts entdecken will, ist bei Gritschke richtig, denn sie serviert in entspanntem Ambiente diverse Marken. Die kleine Bodega füllt sich täglich, viele Gäste kommen aus der Nachbarschaft. Auf hochkant gestellten Getränkekisten mit geflochtenen Kissen kann man sitzen, plaudern und mit einem Glas Wermut in der Hand entspannt den Tag ausklingen lassen. • bk
Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Wermut nach Spanien exportiert

Palmas Calatrava-Viertel

Die geschmacklichen Unterschiede sind tatsächlich groß. Das weiß auch Uta Gritschke. Die Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin aus Münster lebt seit elf Jahren in Palma und betreibt in Palmas Calatrava-Viertel die „Bodega Santa Clara“, die sie nur in den Abendstunden öffnet.

Wermut trinken in Palma
Vermutería La Gloria
C/ Palmera 9
Palma Es Molinar
Täglich außer Mo + Di
12-16 und 19.30-23 Uhr
So 12-17.30 Uhr
Tel: 697 78 95 96 oder
871 95 50 09

Bodega Santa Clara
C/ Santa Clara 4
Palma Calatrava Viertel
Di bis Sa 18-21 Uhr
Tel: 667 97 40 66
bodegasantaclarapalma.com

Taberna La Mondiale
Markthalle Mercat de l´Olivar
im ersten Stock
Mo-Fr 7-14.30 Uhr
Sa 7-15 Uhr, So geschlossen
Tel: 610 215 031

La Rosa Vermutería und
La Rosa Chica Vermutería
C/ de la Rosa 5
Palma Altstadt
Mo 19-24 Uhr
Di-So 12-24 Uhr
Tel: 971 77 89 29

C/ Monsenyor Palmer 5
Palma Santa Catalina
Mo 19-24 Uhr
Di-So 12-24 Uhr
Tel: 871 93 91 49

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