Piraten in Sicht!

Mallorcas Küste ist von alten Wachtürmen gesäumt. Sie erzählen von Zeiten, in denen Korsaren aus Nordafrika und aus der Türkei die Insel heimsuchten. Den Mallorquinern sitzt der Schreck bis heute in den Knochen. Text: Brigitte Kramer Foto: Corinna Cramer

Wer sich an Mallorcas Küsten herumtreibt, auf dem Fahrrad, zu Fuß oder im Boot, der sieht immer wieder robuste, runde Steintürme, die die Silhouette der Insel prägen. Man findet sie heute teils an Orten, wo man sie nicht vermutet - manche sind von Neubausiedlungen umzingelt, anderen wird die Schau von einem Leuchtturm gestohlen. Oder sie sind kaum mehr zu erkennen, sind verfallene Steinhaufen oder nur noch das Fundament eines einst stolzen, wichtigen Gebäudes. Rund 25 dieser Türme, Talaies oder Torres auf Mallorquinisch, sind aber noch einen Besuch wert. Sie sind bequem mit dem Auto zu erreichen oder zieren einen Wanderweg an der Küste.
Meerblick ist bei ihnen garantiert, denn naturgemäß stehen sie an exponierten Stellen, wo der Wind braust, die Möwen kreischen und die Brandung rauscht:

Auf der vorgelagerten, unbewohnten Insel Dragonera im Südwesten, bei Banyalbufar im Westen, auf der felsigen Halbinsel Formentor im Norden, in Porto Cristo im flachen Osten, in Cala Figuera an der ruhigen Südküste oder auf einem Mini-Inselchen in der großen Bucht von Palma. Wer sie besteigt, kann den Blick schweifen lassen, sich leicht und sorglos fühlen. Mallorcas Wachtürme bieten ein wunderbares Low Cost-Erlebnis.
Früher hatten die Türme eine komplett andere Funktion. Zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert wurde die Insel regelmäßig von Piraten heimgesucht. Besonders die sogenannten Berberisken-Korsaren aus den heutigen Ländern Algerien, Tunesien und Marokko kamen, um Geld und Güter zu stehlen und Menschen zu entführen und zu versklaven. Eine grauenhafte Vorstellung.

Die Ereignisse von damals prägen die Mentalität der Insulaner bis heute. Sie sind zurückhaltend, manchmal sogar misstrauisch. Und sie lebten bis zu Beginn des Tourismus nie an der Küste. Zu gefährlich. Wichtige Orte wie Alcúdia, Pollença, Andratx oder Sóller liegen deswegen einige Kilometer vom Meer entfernt. Und in heutigen Touristenorten standen früher nur Hütten und Schuppen, in denen die Fischer ihre Schiffe verwahrten und zeitweise lebten. Nur Palma hatte einen großen Hafen. Die Stadt war jahrhundertelang ein wichtiger und gut bewachter Handelsort im westlichen Mittelmeer.
Auch gängige Redewendungen wie „Ara que no hi ha moros a la costa“ (Jetzt, wo keine Mauren vor der Küste liegen) zeugen davon. Gemeint ist eine Situation, in der die Luft rein ist, also keiner mithört oder zusieht.

Im Osten und Südosten sind folgende Türme zu besichtigen:

Pla des Matzocs, Artà
Torre d’Aubarca

Cap des Freu, Capdepera
Torre de Son Jaumell

Canyamel, Capdepera
Torre Nova des Cap Vermell

Porto Cristo, Manacor
Torre del Serral dels Falcons

Santanyí
Fortalesa de Portopetro

Cala Figuera, Santanyí
Torre d‘en Beu

Cala Santanyí
Torre Nova de sa Roca Fesa

Sa Ràpita, Campos
Torre Son Durí

S‘Estanyol, Llucmajor
Torre de S’Estalella

Llucmajor, Torre de Cala Pi
Torre des Cap Blanc

Und bei den Dorffesten „Moros y Cristianos“ spielen die Insulaner die Übergriffe jedes Jahr wieder nach, im Mai in Sóller und im August in Pollença. Und immer siegen die Christen. Das war in Wirklichkeit nicht so. Die Piratenüberfälle zwischen 1542 und 1558 auf Sóller, Valldemossa, Pollença und Andratx sollen besonders brutal gewesen sein.

Um der Angst ein Ende zu setzen, beschloss der mallorquinische Geistliche und Universalgelehrte Joan Binimelis (1538–1616), die Küste mit einem effektiven Überwachungssystem auszustatten. Binimelis gilt den Mallorquinern als erster Wissenschaftler. Und er war ein Menschenfreund. Er erstellte im 16. Jahrhundert eine Karte von der Küste und berechnete die Distanzen der Türme, um den Wächtern untereinander Sichtkontakt zu ermöglichen. Dann ließ er sie bauen: Dicke Mauern, von Hand aufgeschichtet, etwa zehn Meter hoch, Trinkwasserdepot unter der Erde, Wendeltreppe im Inneren, ein Flachdach als große Aussichtsplattform.

Und Binimelis entwickelte eine Fackel-Sprache. Zeigte sich ein verdächtiges Schiff am Horizont, oder sogar viele, dann mussten die Wächter schnellstmöglich „Mauren vor der Küste“ signalisieren. Tagsüber mit Rauch, nachts mit Feuer. Die Kollegen auf den umstehenden Türmen gaben das Signal dann weiter. Es galt, die schlechte Nachricht möglichst schnell zum Almudaina-Palast in Palma zu schicken: Dort war Mallorcas Macht- und Schaltzentrale, dort lebte der König oder sein Statthalter. Der sandte Truppen aus, um die bedrohten Orte zu verteidigen.

Wie groß das Piratenproblem war, zeigen die überlieferten Ereignisse vom Wachturm auf Cabrera. Er steht auf dem der Küste vorgelagerten, heute unbewohnten Archipel ganz im Süden. Algier liegt nur 140 Seemeilen entfernt. Heute ist die kleine Inselgruppe Nationalpark und einer der ruhigsten Flecken Mallorcas.
Doch allein im 16. Jahrhundert wurde der Turm mindestens zehnmal zerstört und wieder aufgebaut. Wer hier Wache hielt, war den Angreifern ausgeliefert.

Deshalb war der Posten auf Cabrera inselweit der bestbezahlte. Viele Wächter ließen hier ihr Leben oder wurden verschleppt und versklavt, zum Beispiel vom legendären osmanischen Korsaren Turgut Reis. Er zog im gesamten Mittelmeer herum und legte 1550 vor Cabrera an, mit 1.500 Mann.

Die Regionalregierung hat nun beschlossen, die Türme vor dem Verfall zu retten. Sie wird alle unter Denkmalschutz stellen und mit der Restaurierung beginnen. Stehen sie auf Privatgrund, können die Besitzer Subventionen beantragen, allerdings nur, wenn sie den Zugang ermöglichen. Denn Mallorcas Wachtürme sind Allgemeingut. Sie gehören zur Insel, sind Teil ihrer Identität, und viele funktionieren bis heute. Das haben Anfang dieses Jahres ein paar Mallorquiner bewiesen. Von 24 Wachtürmen sandten sie nacheinander ein Signal aus. orange-farbener Rauch um die Mittagszeit, rote Pünktchen im Dunkel der Winternacht. Es war ein Test – und eine Hommage an die Vorfahren.

Text: Brigitte Kramer Fotos: Corinna Cramer
Um der Angst ein Ende zu setzen

Liess Joan Binimelis (1538–1616) die Küste mit einem effektiven Überwachungssystem ausstatten

Dicke Mauern, von Hand aufgeschichtet, etwa zehn Meter hoch, Trinkwasserdepot unter der Erde, Wendeltreppe im Inneren, ein Flachdach als große Aussichtsplattform.

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